Hilfen, die nicht ankommen

Hilfsprogramme erreichen viele Organisationen der Wohlfahrtspflege nicht I Mehr als 15 Mio. Euro Defizite durch fehlende Einnahmen und gestiegene Ausgaben I Liga Hessen und IWAK stellen Bericht zu Auswirkungen der Pandemie vor

Über ein Jahr Corona-Pandemie hat in allen Bereichen unseres Lebens Spuren hinterlassen. Soziale Kontakte sind noch immer stark eingeschränkt, Menschen sind in Kurzarbeit, haben mit Jobverlust und Existenzängsten zu kämpfen. Die Soziale Arbeit hat mit ihren Angeboten flexibel reagiert und viele Hilfen für bedürftige Menschen angepasst. Allerdings sind Arbeitsfelder wie beispielsweise Kinder- und Jugendhilfe, Beschäftigungsförderung, Migrationsarbeit oder Frauen- und Familienbildung selbst direkt betroffen und auf finanzielle Hilfen angewiesen.

Um dies systematisch zu untersuchen, hat die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Hessen e. V. in Kooperation mit dem Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur der Goethe-Universität Frankfurt am Main (IWAK) eine Blitzlichtbefragung in ihren Einrichtungen durchgeführt. Der Bericht, die wichtigsten Ergebnisse und Lösungsansätze wurden bei einer virtuellen Pressekonferenz am Freitag vorgestellt.

„Die Wohlfahrtsverbände sind für den Zusammenhalt der Gesellschaft systemrelevant. Mit unseren Angeboten und Dienstleistungen integrieren wir schwache Gruppen und verhindern so eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Brechen diese Angebote wegen der Pandemie weg, hat das weitreichende gesellschaftliche Folgen“, sagt Nils Möller, Vorsitzender der AG Finanzen in der Liga Hessen. „Viele Angebote sind gerade in der Pandemie für Menschen in sozialen Schwierigkeiten eine wichtige, manchmal sogar die einzige Stütze.“ Das stellt Monika Maier-Luchmann bei ihrer Arbeit immer wieder fest. Sie ist Koordinatorin im Mehrgenerationenhaus Langen, das Mütterzentrum, Familienzentrum und Seniorenhilfe unter einem Dach vereint. „Dass wir unseren Offenen Treff – das Herzstück unserer Vereinsarbeit - schließen mussten, trifft alle hart. Schon so lange kein Mittagstisch für Senior*innen und Schulkinder, keine sozialen Kontakte, keine Hausaufgabenhilfe, keine persönliche Begegnung zwischen Jung und Alt – alle vermissen es schmerzlich. Als krisenerprobtes Mütterzentrum sind wir so flexibel und kreativ wie möglich mit den immer wieder neuen Situationen umgegangen, um Familien, kranke und ältere Menschen nicht völlig allein zu lassen. Dennoch fehlten nicht nur plötzlich die Freiwilligen, die sich bisher bei uns engagierten und unser Team unterstützten, sondern auch Spenden und Teilnahmebeiträge. Für einen Verein, der einen Großteil seines Etats aus eigenen Mitteln bestreiten muss, ein riesiger Kraftakt.“

Hilfen greifen nicht I Defizit von 15 Mio. Euro

„Ein wesentliches Ergebnis unserer Befragung ist, dass viele Hilfen, die von Bund und Land aufgelegt worden sind, auf die heterogen strukturierte Soziale Arbeit nicht gepasst haben“, so Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des IWAK. „Die Alten- und Behindertenhilfe ist hier eine Ausnahme: Hier hat ein Teil der aufgelegten Hilfsprogramme gegriffen. Aber es gibt viele Leistungen, die nicht über Leistungsvergütungssysteme, sondern über Kursgebühren, Mitgliedsbeiträge oder kommunale Zuschüsse finanziert werden, insbesondere Bildungsangebote, Kurse, Sozialkaufhäuser, zum Teil Schuldnerberatung, Familien-/Alltagshilfen u.v.m. Sie konnten keine Hilfen beantragen und erhalten.“ Allein für das vergangene Jahr rechnen die an der Befragung teilnehmenden Organisationen mit Verlusten von über 15 Millionen Euro. Die Gründe sind vielschichtig: Angebote mussten wegen Hygieneauflagen und Abstandsregeln ausfallen, Kursgebühren, Einnahmen durch Spenden und Gastronomie sind weggefallen während die Ausgaben stiegen, bspw. für Anschaffung von Schutzausrüstung, den Ausbau der Digitalisierung oder Mietzahlungen.

Die sozialen Angebote werden gebraucht – so kann es gehen

„Bisher versuchen die Träger die Defizite aus eigener Tasche zu finanzieren, aber es ist eine Grenze erreicht“, sagt Nils Möller. „Gerade kleinere Vereine und Organisationen sind in akuter Existenznot. Wir brauchen einen Sonderfond Soziales, um die Mindereinnahmen und Mehraufwendungen zu finanzieren. Verwaltungsarme Hilfen sind hier gefragt, um die bewährte, heterogene soziale Infrastruktur finanziell zu sichern. Das Defizit von 15 Millionen Euro bezieht sich nur auf eine kleine Zahl der Organisationen und nur auf das Jahr 2020. Wir müssen von wesentlich höheren Defiziten für die gesamte Pandemie ausgehen.“

Die Hilfen müssten passgenauer als bisher auf die sozialen Arbeitsfelder zugeschnitten sein, damit die soziale Infrastruktur in den Kommunen erhalten bleiben könne. Eine Möglichkeit sei auch, bestehende Förderprogramme für die Organisationen der Sozialwirtschaft zu öffnen und zielgenauer auszurichten. Insbesondere der Ausbau der Digitalisierung habe viel Geld gekostet. Die Organisationen in der sozialen Arbeit haben Hard- und Software beschafft, Mitarbeitende geschult, Onlineberatungsangebote aufgebaut – zum großen Teil aus eigenen Mitteln. Hier wäre eine kurzfristige Unterstützung durch das Land dringend notwendig. Langfristig gesehen müssen diese Kosten bei Verhandlungen mit Land, Kommunen und weiteren Trägern berücksichtigt werden. Für Kooperationen mit dem Land im Bereich der Digitalisierung steht die Liga Hessen zur Verfügung und hat dies schon angeboten.

In der Pandemie zeigt sich: Die Wohlfahrtsverbände können Krise. Sie sind eine verlässliche Stütze, halten Gesellschaft zusammen und stellen Angebote flexibel um. Aber das kann nur so lange funktionieren wie die Mittel dafür ausreichen.

 

Ansprechpartner*innen:

Nils Möller, Vorsitzender AG Finanzen I Liga Hessen

Nils.moeller@drk-hessen.de

Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin IWAK

c.larsen@em.uni-frankfurt.de

Monika Maier-Luchmann, Geschäftsführung Mütterzentrum Langen e. V.

m.maier-luchmann@zenja-langen.de

>> Die Befragung finden Sie hier <<