„Eingliederungshilfe und Pflege können voneinander lernen“

Beim Fachtag der Liga Hessen „Quo vadis Eingliederungshilfe und Pflege?“ in Frankfurt diskutierten Experten aus Wissenschaft und Wohlfahrtsverbänden über mögliche Schnittstellen zwischen der Pflege und der Eingliederungshilfe

Bild: Liga Hessen

Eine ganze Reihe an neuen Gesetzen ist in den vergangenen Jahren im Sozial- und Gesundheitswesen in Kraft getreten: Die Reform der Pflegeversicherung durch die Pflegestärkungsgesetze und die Reform der Eingliederungshilfe durch das neue Bundesteilhabegesetz. So wurde ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, der mehr Menschen in das System der Pflege einbezieht, die Auswirkungen aber auf pflegebedürftige Menschen mit Behinderung, die zudem auch Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, sind vielfach ungeklärt.

Verschiedene Szenarien und Ausblicke haben Fachexperten, darunter Prof. Dr. Andreas Büscher, Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück, und Simone Schüller, Diplom-Soziologin an der TU Dortmund, beim Fachtag vorgestellt und in die Diskussion gegeben. Büscher bewertete die vom Bund vorgenommenen Reformen der Pflege zunächst positiv, da sich das Leistungsspektrum für pflegebedürftige Menschen dadurch vergrößere, allerdings würden „dadurch nicht automatisch die fachlichen Rahmenbedingungen und Personalmangel in dem Sektor gelöst.“ Wichtig sei, Vertrauen in die Kompetenz der Fachkräfte zu haben und einen Schwerpunkt auf die Ausbildung im Bereich Pflege zu legen, gerade auch an Universitäten. Aufgrund der Komplexität und Anforderungen in der Pflege müssten mehr ausdifferenzierte Berufsbilder mit akademischer Qualifizierung angeboten werden.

Zwischen Pflege und Eingliederungshilfe bestehen Gemeinsamkeiten und Schnittstellen – darauf wiesen nicht nur Prof. Büscher und Simone Schüller hin. Auch die Experten-Runde beim Fachtag in Frankfurt, an der Vertreter von Parität und Caritas, AOK und Landeswohlfahrtsverband Hessen teilnahmen, kam zu diesem Ergebnis. Aufgrund des demografischen Wandels, der Menschen mit Behinderung genauso betreffe, würde es in naher Zukunft stärker als bisher immer wieder zu einer Vermischung beider Bereiche – der Pflege und Eingliederungshilfe – kommen. Gerade deshalb wird es als eine gemeinsame Aufgabe angesehen, dass die verschiedenen Professionen voneinander lernen. Die Abgrenzungsfragen, die sich gerade daraus ergeben, dass ähnliche Leistungen in verschiedenen Gesetzen mit unterschiedlichen Zielrichtungen geregelt sind, führen oftmals dazu, dass Leistungsberechtigte wie auch Leistungserbringer mit Kostenträgern über die Bewilligung von Leistungen diskutieren und streiten müssen.

Zudem wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass aufgrund fehlender Abgrenzungsregelungen in der Praxis der Alltag von Menschen mit Behinderungen in einzelne Handlungen zerlegt wird, um herauszufinden, welche Handlung welchem Ziel dient. Dies führe dazu, dass man in der Praxis darüber diskutiere, ob die Unterstützung beim Toilettengang während des Kinobesuches nun zum Bereich der Eingliederungshilfe oder der Pflege gehöre. Dies wurde von allen Beteiligten als misslich angesehen. Trotzdem sei aber auch wichtig, bei den Leistungen genau hinzusehen und zu definieren, welche Leistung unter Pflege, welche unter Eingliederungshilfe falle. In der Diskussion wurde zudem die Sorge geäußert, dass bei den neuen Reformen Wunsch und Wahlrecht der Betroffenen auf der Strecke bleiben könnten, weil es bei den gesetzlichen Reformen um Kosteneinsparung gehe.

Nichtsdestotrotz wagten die Teilnehmer der Experten-Runde einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft. Die Reformen seien der richtige Weg hin zur Personenzentrierung, denn schließlich sei es vorrangig, auf die individuelle Situation und die Wünsche der Betroffenen einzugehen. Viele Details in den Gesetzen seien allerdings noch unklar und müssten in der Praxis erprobt und eingeordnet werden.

Der Fachtag „Quo vadis Eingliederungshilfe und Pflege?“ im Frankfurter Saalbau Gallus war mit 180 Teilnehmern sehr gut besucht und zeigt das große Interesse an den zahlreichen neuen Reformen im Sozial- und Gesundheitswesen und deren vielschichtigen Folgen für die Praxis.

 

Brigitte Roth

Stellvertretende Vorsitzende Liga-Arbeitskreis 4: „Menschen mit Behinderungen“

 

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