Bleiben Vertrauen und Selbstbestimmung beim BTHG auf der Strecke?

Experten und Betroffene diskutierten kontrovers beim Fachtag der Liga Hessen und der Hochschule Fulda Auswirkungen des neuen Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf das Hilfeplanverfahren.

Fachtag am Campus der Hochschule Fulda

„Unzählig viele Besuche beim örtlichen Sozialamt hatte ich hinter mir, bis ich Hilfe bekam“, erzählt Susanne Dünckel, heute Klientin einer Behindertenwerkstatt des Vereins Aufwind e.V. 

Erst mithilfe der Betreuer der Behindertenwerkstatt konnte ihre Beeinträchtigung festgestellt und ihr Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe gegenüber dem Sozialamt durchgesetzt werden. Die 52-Jährige hat das schon jetzt erlebt, was wahrscheinlich vielen Menschen mit Behinderung nach dem neuen Bundesteilhabegesetz ab 01.01.2017 blüht. Es sieht vor, dass künftig die örtlichen und überörtlichen Kostenträger die Eingliederungshilfe steuern. Offen bleibt, wie genau das aussehen soll.

Ulrike Cramer vom Hessischen Landkreistag hat in ihrem Vortrag beim ausgebuchten Fachtag „Bundesteilhabegesetz - Personenzentrierung in Hessen“ dazu eine konkrete Idee für Hessen vorgestellt. In „regionalen Teilhabestützpunkten“ könnten zukünftig die so genannten Bedarfsfeststellungen zur Hilfegewährung durch den LWV als überörtlichen und die örtlichen Sozialhilfeträger erfolgen, das Personal hierfür müsse allerdings neu eingestellt werden.

Die bisherige Praxis in Hessen sah anders aus und hat sich bewährt: „Der Hilfeplan und die Beantragung einer Hilfe wird in enger und vertrauensvoller Beziehung mit dem betroffenen Menschen erstellt, was bisher u.a. die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege erledigen. Es werden sehr persönliche Fragen gestellt. Dazu braucht es eine Vertrauensbasis und Zeit“, erläutert Frau Prof. Dr. Gromann aus wissenschaftlicher Sicht. Ohne die sozialen Einrichtungen ist die Hilfeplanung bisher kaum vorstellbar.

„Was machen wir Leistungserbringer zukünftig dann noch? Wozu braucht man uns noch?“ fragt ein aufgebrachter Vertreter einer Einrichtung. Er traf den Kern der Diskussion: Wie sieht das Hilfeplanverfahren nach dem neuen BTHG in Hessen aus? Im neuen Gesetz sind die Leistungserbringer nicht mehr erwähnt. Sie können von den Kostenträgern hinzugezogen werden, müssen aber nicht. Auf dem Fachtag ist man sich einig: In der Eingliederungshilfe steht ein Paradigmenwechsel bevor.

„Im Mittelpunkt sollte der Mensch stehen. Wichtig ist, die betroffenen Menschen zu fragen: Was ist nötig, damit du dich in dieser Gesellschaft wohl und verstanden fühlst, Teil dieser Gesellschaft bist?“, so Rita Henning, Vorsitzende des Liga-Arbeitskreises „Menschen mit Behinderung“. Sie fordert deshalb eine Nachbesserung des BTHG.

Für Hessen wünschen sich die Experten eine einheitliche Umsetzung des Bundesgesetzes von der Landesregierung und sehen dabei eine neue Chance für das in einigen Regionen Hessens bewährte Instrument der personenzentrierten Steuerung der Eingliederungshilfe.

„Die Wohlfahrtsverbände begrüßen, dass das Bundesteilhabegesetz als eine zentrale Reform der jetzigen Bundesregierung auf den Prinzipien von Gegenseitigkeit und Partizipation beruht. Gleichzeitig sind in den weiterführenden Beratungen die völkerrechtlichen Verpflichtungen der UN-Behindertenkonvention vollständig umzusetzen“, fasst der stellvertretende Liga-Vorsitzende Günter Woltering zusammen.


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