Wohnraum für alle!

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Bezahlbarer Wohnraum ist in den Ballungsräumen zur Mangelware geworden. Es ist nicht nur ein Problem sozial schwacher Gruppen, sondern ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Hierfür sind vielfältige politische und gesellschaftliche Gründe verantwortlich: Fehlendes Bauland, Veränderungen auf den Kapitalmärkten mit zunehmender Renditeorientierung, Veränderungen in den Lebensgewohnheiten sind nur einige Beispiele. Das Problem birgt gesellschaftliches Konfliktpotential.

Die Liga Hessen konzentriert sich bei ihren Forderungen darauf, was bereits kurz- und mittelfristig wirken kann und richtet dabei den Fokus auf die Hessische Landesregierung.

Die Situation auf dem hessischen Wohnungsmarkt verschärft sich stetig weiter, die Mieten steigen ungebremst und wir sehen bisher keine landespolitischen Weichenstellungen, die eine Trendwende bewirken könnten. Wir begrüßen einige der bisher angekündigten Maßnahmen, z.B. die Mietpreisbegrenzung bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätte, halten aber die Möglichkeiten mietrechtlicher Instrumente für längst nicht ausgeschöpft. Beispielsweise ist die Mietpreisbremse zu schärfen, Mietspiegel müssen flächendeckend und rechtsicher eingeführt und ein hessischer Mietendeckel in Erwägung gezogen werden.

Wohnen muss Teil der Daseinsfürsorge sein – und damit auch Teil der Sozialpolitik in Hessen

Wohnungspolitik ist auch Sozialpolitik. Sie muss auf die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum zielen. Wir bedauern, dass in Hessen hierfür nicht die strukturellen Kompetenzen im Ministerium für Soziales und Integration geschaffen wurden. Umso mehr hoffen wir, dass im Hessischen Wirtschaftsministerium der immens wichtige soziale Aspekt der Wohnraumversorgung aller Menschen in Hessen berücksichtigt wird. Zudem halten wir eine Wohnungsbaukoordinierungsstelle für notwendig, die alle Bauvorhaben der öffentlichen Hand bündelt und die Gebietskörperschaften bei der Umsetzung unterstützt.

Handlungsmöglichkeiten der Kommunen und des Landes erhöhen!

Die öffentliche Hand in Hessen muss durch einen Ankauf von Wohnungsbeständen ihren kommunalen und landeseigenen Bestand vergrößern und die Veräußerung landeseigener oder kommunaler Immobilien und Grundstücke vollständig stoppen. Grundsätzlich sollten öffentliche Grundstücke und Wohnungen nur an gemeinnützige und sozial ausgerichtete Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften vergeben werden, die dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schaffen. Die Gewinne öffentlicher Wohnungsunternehmen müssen zwingend für die Sanierung des Bestands, für Neubau oder den Ankauf von Sozialwohnungen verwendet werden.

Sozialwohnungsbau massiv ausbauen, langfristig fördern

Der soziale Wohnungsbau ist originäre Aufgabe des Landes Hessen und wird vom Bund finanziell unterstützt. In Hessen geht die Zahl der geförderten Sozialwohnungen weiterhin dramatisch zurück. Eine Umkehr dieses Negativtrends ist nicht in Sicht. Im Jahr 2018 sind hessenweit nur 900 geförderte Wohnungen gebaut worden, aber 5.000 Sozialwohnungen sind aus der Bindung gefallen. Die Zahl der Sozialwohnungen in Hessen hat sich in den letzten 20 Jahren auf einen derzeitigen Stand von rund 80.000 geförderten Wohnungen verringert. Wir fordern über die bisherigen ungenügenden Anstrengungen der Hessischen Landesregierung hinaus einen massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus mit langfristigen Mietpreisbindungen. Zudem muss die Förderung erhöht werden, damit auch betriebswirtschaftliche die Investitionen für gemeinnützige Unternehmen möglich sind.

Barrierefreies Wohnen adäquat fördern

Nach Angaben des Instituts Wohnen und Umwelt fehlen hessenweit rund 200.000 Wohnungen für mobilitätseingeschränkte Zielgruppen. Insbesondere vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, wird sich diese Situation weiter verschärfen. Der Bedarf an barrierearmen / barrierereduzierten Wohnungen wird voraussichtlich bis 2040 auf 300.000 Wohnungen ansteigen, so das Institut Wohnen und Umwelt. Bei der letzten Novellierung der hessischen Bauordnung wurden Regelungen geschaffen, die die Verschlechterung der Versorgung mit barrierefreiem und barrierereduziertem Wohnraum bedeuten.

Die dort festgelegten Quoten werden durch verschiedene Ausnahmeregelungen konterkariert; dies führt faktisch zu weniger barrierefreiem Wohnraum. Es wurden beispielsweise Ausnahmetatbestände wie die eines „unverhältnismäßigen Mehraufwands“ in die hessische Bauordnung aufgenommen. Dies ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar. Wir fordern die entsprechenden Paragraphen 2 und 54 der hessischen Bauordnung zu ändern und Barrierefreiheit im Landesbaurecht umfänglich und wirksam zu verankern. Darüber hinaus fordern wir die Politik dazu auf, seniorengerechtes und behindertengerechtes Wohnen in Hessen durch Barrierenreduktion zu fördern.

Wohnqualität im ländlichen Raum fördern

Wir fordern zusätzliche Anstrengungen der Landesregierung, um ländliche Regionen für Bewohner*innen wieder attraktiver zu machen. Hierzu sind Investitionen in die Verkehrs- und Breitbandinfrastruktur nötig, aber vor allem in soziale, kulturelle und medizinische Infrastruktur. Außerdem werden durch die Situation auf dem Wohnungsmarkt in den hessischen Ballungszentren und Universitätsstädten einkommensschwache Haushalte und Menschen in besonderen Lebenslagen zunehmend in den ländlichen Raum verdrängt. Damit steigt der Bedarf an kostengünstigem öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV). Um die Teilhabe dieser Zielgruppen zu gewährleisten, wird eine verbilligte Nutzung des ÖPNV oder eine vollständige Kostenbefreiung für einkommensschwache Haushalte unerlässlich. Dies gebietet auch die grundgesetzlich festgeschriebene Aufgabe, gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet herzustellen (Art. 72 GG).

Quartiere stärken – soziale Stadtentwicklungspolitik fördern

Im Sinne einer sozialen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik fordern wir die Stärkung der Quartiers- und Gemeinwesenarbeit. Entsprechende Strukturen müssen ausreichend finanziert werden. Es hat sich gezeigt, dass die Förderung von Gemeinwesenarbeit die Entwicklungen von benachteiligten Quartieren und Stadtteilen positiv beeinflusst und den sozialen Frieden stabilisiert.

Im Förderprogramm „Gemeinwesenarbeit“ bewerten wir die Förderung nach der Relation „Einwohner*innen/Personalausgaben“ sehr kritisch, da kleinere Kommunen mit vulnerabler Bewohner*innenstruktur hier im Nachteil sind. Grundsätzlich sollten auch kreisangehörige kleinere Städte und Kommunen als Zuwendungsempfänger beteiligt und ihnen ein aktives Mitwirkungsrecht sowohl beim Förderprogramm Gemeinwesenarbeit als auch beim Bund-Länder-Programm Soziale Stadt eingeräumt werden.

Aktionsprogramm Wohnungslosigkeit überwinden

Aufgrund der steigenden Wohnungslosigkeit in Hessen fordern wir ein Aktionsprogramm „Wohnungslosigkeit überwinden“ mit einer Laufzeit von vier Jahren. Dieses Aktionsprogramm sollte folgende Merkmale enthalten: Die Einführung einer landesweiten integrierten Wohnungsnotfallstatistik; eine landesweite Untersuchung zu Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen; ein Förderprogramm zum Aufbau kommunaler Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten im ländlichen Raum; ein Förderprogramm „Pro Wohnen“ zur Förderung von Netzwerken zur Prävention von Wohnungsverlusten und zur Erschließung von Wohnraum, sowie ein Förderprogramm „Von der Straße in die Wohnung“ durch aufsuchende Hilfen auf der Straße, Akquise von Wohnungen und wohnbegleitende Hilfen.

Förderung von Wohnraumhilfen in ganz Hessen

Wohnraumhilfen sind gemeinnützige Organisationen, die als Zwischenmieter fungieren und so Menschen in besonderen Lebenslagen mit Wohnraum versorgen, die ansonsten keinen Zugang zum Wohnungsmarkt haben. Um dieses Angebot flächendeckend zu etablieren, ist ein Landesprogramm erforderlich. In Kooperation mit den Kommunen und Kreisen sollen diese vom Land zu fördernden Wohnraumhilfen Wohnraum bei Wohnungsbaugesellschaften und Privateigentümern akquirieren, anmieten und weitervermieten, bei Bedarf verbunden mit einer sozialen Mieterberatung und -betreuung. 

Schutz vor Diskriminierung und Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt

Eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes verdeutlicht, wie sehr Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Wohnungsmarkt rassistisch diskriminiert werden. Mindestens jeder dritte Mensch mit Migrationshintergrund berichtet laut dieser Studie von Diskriminierungserfahrungen auf dem Wohnungsmarkt. Laut der Studie haben 41 Prozent der Vermieter Bedenken, eine eigene Wohnung an Menschen mit Migrationshintergrund zu vermieten. Alle Diskriminierungsstrukturen müssen auch auf dem hessischen Wohnungsmarkt abgebaut werden, um allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen. Das Antidiskriminierungsgesetz sieht für solche Fälle schon jetzt Schadensersatz und Schmerzensgeld vor, jedoch besteht in den meisten Fällen kaum Wissen darüber. Deshalb fordern wir umfassende Informationskampagnen für Mieter und Vermieter.

Die Kommunen müssen durch verbindliche Vorgaben verpflichtet werden, einen ausreichenden Bestand an Wohnungen für Menschen in besonderen Lebenslagen, wie Geflüchtete, junge Erwachsene, die aus stationärer Unterbringung der Jugendhilfe entlassen werden, Straffällige, Suchtkranke, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Sinti und Roma sowie Wohnungslose bereitzustellen.

Förderung von Werkswohnungen für Fachkräfte aus dem sozialen Sektor

Der Fachkräftemangel sorgt im sozialen Sektor für zunehmende Probleme. Beschäftigte im pflegerischen und pädagogischen Bereich, können sich zudem die hohen Mietpreise in Ballungsräumen nicht leisten. Wird hier nicht gegengesteuert, wird es künftig in vielen Regionen zu Versorgungsengpässen bei sozialen Dienstleistungen kommen. Im Unterschied zur Privatwirtschaft verfügen die gemeinnützigen Träger nicht über die finanziellen Mittel um Werkswohnungen zu bauen.

Wir fordern das Land Hessen daher auf, dass landeseigene Wohnungsbaugesellschaften gemeinsam mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege Konzepte für den Bau von Werkswohnungen für Fachkräfte aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich entwickeln. In NRW investieren beispielsweise die Stadtwerke Köln 140 Mio. € in Neubau und Instandhaltung von Werkswohnungen. Weiter sollte Auszubildenden und Studierenden mehr staatlich geförderter Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.

Übernahme tatsächlicher Mietkosten für Haushalte im Sozialleistungsbezug

In vielen Kommunen in Hessen wird derzeit nicht die komplette Miete für Grundsicherungsbeziehende übernommen. 18,4% der Bedarfsgemeinschaften im SGB II - Bezug erhalten nicht die realen Kosten für Unterkunft und Heizung. Im Jahr 2018 summierte sich die Mehrbelastung für die betroffenen Personen auf durchschnittlich 980 € pro Bedarfsgemeinschaft. Bedarfsgemeinschaften mit Kindern, besonders Alleinerziehende, sind überdurchschnittlich betroffen. Wir fordern, dass die Kosten der Unterkunft für angemessenen Wohnraum in voller Höhe übernommen und die ortsspezifische Mietpreisentwicklung berücksichtigt wird.

Wiesbaden, April 2020

 

Die Datei ist die aktualisierte Version vom 09.06.2021.