Pflege braucht mehr Priorität

Zum Weltgesundheitstag 2024 fordert die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen bessere Bedingungen für Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegekräfte

Wir werden älter und wir werden mehr. Den Berechnungen im aktuellen Hessischen Pflegebericht des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) zufolge wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Hessen bis zum Jahr 2030 stark zunehmen. Insgesamt fast 350.000 Menschen werden dann im Bundesland auf pflegerische Unterstützung angewiesen sein. Das sind fast 12 % mehr als noch 2019.[1]

Sollte Pflege nötig werden, möchten wir bestmöglich versorgt werden, unabhängig von Herkunft, finanzieller Situation oder Wohnort. Doch ist das umsetzbar? „Die Pflege braucht in der Öffentlichkeit und in der Politik auf Landes- und Kommunalebene eine höhere Priorität“, sagt Michael Schmidt, Liga-Vorstandsvorsitzender und Vorsitzender des Liga-Arbeitskreis „Pflege“. „Konkret geht es darum, dass sich die politischen Vertreter*innen vor Ort mehr fokussieren auf Prävention und Fachkräftegewinnung und dann zügig in die Umsetzung kommen. Zudem brauchen wir dringend eine Modernisierung und Anpassung des sozialen Versicherungssystems an aktuelle und künftige Herausforderungen.“

Hintergrund ist hier der akute und sich verschärfende Personalmangel in der Pflege und die wirtschaftliche Situation der Einrichtungen. Durch die Preissteigerungen bei Lebensmitteln, notwendigen externen Dienstleistungen, medizinischem Bedarf, Treibstoffen u.v.m. sind die Betriebskosten für die Pflege-Anbieter massiv gestiegen. Das gilt für stationäre wie ambulante Dienste. Die hohen Preise bekommen dann Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu spüren. Denn trotz der Entlastungszuschläge werden die Eigenanteile immer höher. Seit dem 1. Januar 2023 müssen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen für das erste Jahr in einer stationären Pflegeeinrichtung bundesweit durchschnittlich 2.411 Euro pro Monat selbst zahlen. Das sind 278 Euro mehr als Anfang 2022.[2] 


Die Liga Hessen fordert eine Entlastung und mehr Planungssicherheit für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Das kann so gelingen:

  • Durch eine tatsächliche Deckelung des pflegebedingten Aufwands durch einen sogenannten Sockel-Spitze-Tausch: Alle Pflegebedürftigen beteiligen sich mit einem festgelegten Eigenanteil an der Versorgung, alle darüber hinaus gehenden Kosten zahlen Pflege- und Krankenversicherung. Dies gilt für alle Versorgungsformen (ambulant, stationär, Wohngemeinschaften) gleichermaßen.
  • Refinanzierung zielgruppenspezifischer, wohnortnaher präventiver Maßnahmen und Unterstützungs- und Versorgungsangebote, in denen auch sektorenübergreifende Angebote und innovative Ansätze verlässlich refinanziert sind. Ein niederschwelliger, bürokratiearmer Zugang zu den Angeboten ist dabei sehr wichtig. Denn: Pflege muss sich kontinuierlich weiterentwickeln können. Dafür muss das Land Hessen einen Rahmen schaffen, damit auch Wohnen jenseits der Norm entwickelt und ermöglicht werden kann, (bspw. ambulante Wohngemeinschaften in der stationären Pflege) – dies alles bedarf verlässliche, regelhaft finanzierte unterstützende Strukturen – unabhängig vom Wohnort.
  • Refinanzierung einer modernen professionellen Versorgung mit ausreichend Personal. Vor diesem Hintergrund fordern wir das Land Hessen auf, sich wieder aktiv an dem Ausbau der pflegerischen Infrastruktur (Modernisierungen, Umbau, Neubau von Einrichtungen) und sich an den Investkosten zu beteiligen.
  • Das Land und die Kommunen müssen stärker ihre Verantwortung wahrnehmen und eine Altenhilfe- und Pflegestrukturplanung vornehmen. Die Kommunen müssten den Auftrag haben, ausreichend viele Unterstützungsangebote vor Ort anzubieten. Voraussetzung dafür ist, dass sie die Kompetenz, aber auch die Verpflichtung bekommen, eine verbindliche Planung aufzustellen, so wie das bei Schulen oder Kindertagesstätten der Fall ist. Eine Versorgung der Zukunft kann nur durch eine gelungene Vernetzung von professionellen und informellen Hilfestrukturen funktionieren. Dafür müssen die Kommunen mit zusätzlichen finanziellen und personellen Mitteln ausgestattet werden. Dazu empfehlen wir die Besetzung einer koordinierenden (Planungs-) Stelle auf Landesebene, damit auf Basis von erhobenen Strukturdaten eine zielgerichtete Versorgung geplant und umgesetzt werden kann.

Bei einem ersten Vor-Ort-Termin mit der neuen Hessischen Ministerin für Pflege, Diana Stolz, konnte die Liga diese und weitere Themen diskutieren. „Wir freuen uns, dass wir bei der Ministerin auf offene und interessierte Ohren gestoßen sind. Lassen Sie uns nun schnell ins Arbeiten kommen. Als Liga stehen wir hier an Ihrer Seite“, so Schmidt abschließend.


[1] „Hessischer Pflegebericht 2023“; Vorgelegt vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK), Goethe-Universität Frankfurt a.M. Autorinnen und Autoren: Dr. Oliver Lauxen & Sabrina Morici Auftraggeber: Hessisches Ministerium für Soziales und Integration Stand: Oktober 2023

[2] vdek, Grafik: Finanzielle Belastung eines Pflegebedürftigen in der stationären Pflege; https://www.vdek.com/content/dam/vdeksite/vdek/presse/pm/2023/grafiken_eigenbeteiligung_stationaere_pflege_2023_und_2022.pdf


Ansprechpartner

Michael Schmidt
Liga-Vorstandsvorsitzender und Vorsitzender Liga-AK „Gesundheit, Pflege und Senioren“
E-Mail: michael.schmidt@awo-nordhessen.de
Tel. 0561-5077104