Armut ist kein Thema

Statement der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Hessen: Der Regionale Wohlfahrtsindex für Hessen ist vor allem öffentlichkeitswirksame Politik.

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Seitdem CDU und Grüne eine Landesregierung bilden, hat sich die Lebensqualität der Hess*innen besser entwickelt als im Rest Deutschlands. So die öffentlichkeitswirksame Schlussfolgerung aus dem jüngst erschienenen Regionalen Wohlfahrtsindex (RWI) für Hessen, den Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir am Montag vorgestellt hat. Der RWI bildet – ebenso wie der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) – einen Gesamtindex ab, der sowohl ökonomische, soziale als auch ökologische Kriterien berücksichtigt, um Wohlfahrt bzw. deren Entwicklung im Zeitverlauf zu messen. Dazu wurden 21 Komponenten herangezogen, bspw. Bildung, ehrenamtliche Arbeit, Biodiversität, Verkehrsunfälle oder Lärm.

Liga-Vorstandsvorsitzender Carsten Tag dazu: „Dass es mehr Gradmesser braucht, um die Lebensqualität der Hess*innen abzubilden als nur wirtschaftliche Faktoren, sehen wir ähnlich und wir begrüßen, dass die Studie auch soziale und ökologische Komponenten mit aufgreift. Allerdings hat dieser Index eine große Schwäche: Armut wird hier als wesentliches soziales Problem ausgeblendet. Der Anstieg der Armut in Hessen ist dramatisch. Hessen hat unter den westdeutschen Flächenländern die zweithöchste Armutsquote mit einem Abstand von nur 0,7 Prozentpunkten zum Schlusslicht Nordrhein-Westfalen. 2021 lag die Armut im Bundesdurchschnitt bei 16,9 Prozent, in Hessen bei 18,5 Prozent. Fast jede*r Fünfte ist also inzwischen armutsbetroffen und damit in der Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Dies im Regionalen Wohlfahrtindex nicht zu thematisieren, ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.“

Aussagen macht der Regionale Wohlfahrtsindex lediglich zur Ungleichverteilung der Einkommen, die in Hessen kontinuierlich höher ist als im bundesdeutschen Durchschnitt. Hier ist zu lesen, dass die zehn Prozent der niedrigsten Einkommen von 1999 bis 2019 in Hessen real überhaupt keine Zugewinne hatten, sondern lediglich die einkommensstärkeren Schichten und hier insbesondere die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung. Damit bleibt Wirtschaftsminister Al-Wazir eine Antwort darauf schuldig, wie der RWI und Aussagen aus dem letzten Landessozialbericht zusammenpassen, dem zufolge die Armutsquote in Hessen drastisch gestiegen ist und Einkommen und Vermögen sich zunehmend ungleich verteilen.

Was der RWI nicht genügend abbildet, sind die Entwicklungen während der Corona-Pandemie und der jüngsten Inflation, insofern – wie die Autor*innen der Studie transparent machen – die Einschränkung sozialer Kontakte nicht gemessen wurden, der private Konsum pandemiebedingt häufig nicht zu dem erwarteten wohlfahrtssteigernden Nutzen führte und ohnehin Daten über den privaten Konsum in Hessen für 2021 und 2022 noch nicht vorliegen. „Unsere Erfahrungen in den Einrichtungen und Diensten zeigen, dass sich die Lebenssituation vieler Menschen eher verschlechtert als verbessert hat. Dass der Wirtschaftsminister aus den Ergebnissen der Studie einen Rückschluss auf erfolgreiche Sozialpolitik zieht, halten wir hier für absolut unangemessen. Hier entsteht der Eindruck, dass die drängenden sozialen Probleme unserer Zeit - wie sie im Landessozialbericht benannt wurden und auf die die Liga Hessen regelmäßig aufmerksam macht – relativiert werden sollen“, so Carsten Tag abschließend.

 

Ansprechpartner*innen

Carsten Tag, Liga-Vorstandsvorsitzender

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E-Mail: Melanie.Hartmann@diakonie-hessen.de

Tel: 069 7947 6272

 

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E-Mail: Kristina.Nottbohm@paritaet-hessen.org

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