Wohnungslosigkeit: Frauen und junge Menschen weiterhin stark betroffen

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Die von der Liga Hessen durchgeführte Stichtagserhebung in den Diensten und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe ihrer Verbände zeigt: Besonders Frauen und junge Menschen sind die Verlierer.

Eine Wohnung zu bewohnen - mit Zugang zu Energie und Wasser - gehört zum Existenzminimum eines jeden Menschen. Im Wettbewerb um preisgünstigen Wohnraum stehen Wohnungslose am Ende der Hierarchie. Weil es immer noch keine ausreichende Datenlage zur Wohnungslosigkeit in Hessen gibt, führt die Liga der Freien Wohlfahrtspflege alle zwei Jahre eine Erhebung in 158 Diensten und Einrichtungen ihrer Verbände durch. Die am Stichtag 27.02.2020 erhobenen Daten liegen nun ausgewertet vor.

Von den 3.462 Personen, die am Stichtag die Dienste und Einrichtungen aufgesucht haben, besuchte rund ein Drittel die Tagesaufenthalte. Diese zeichnen sich durch ein sehr niedrigschwelliges Angebot aus und ermöglichen so den Menschen auf unkomplizierte Weise Kontakt zum weiterleitenden Hilfesystem aufzunehmen. Wohnungslose Menschen können hier ihre Wäsche waschen, duschen, sich mit anderen austauschen oder einfach zur Ruhe kommen.

Zu wenige Angebote für betroffene Frauen

Die aktuelle Stichtagserhebung verdeutlicht die prekäre Situation wohnungsloser Frauen mit einem Anteil von 27 Prozent. Es fehlt an spezialisierten Angeboten und Schutzräumen, so dass die Dunkelziffer der betroffenen Frauen nach Schätzungen ungleich höher liegt. Gründe sind u.a. verdeckte Wohnungslosigkeit: Frauen bleiben oft länger in gewaltförmigen Beziehungen oder kommen bei Freunden oder Verwandten unter („couchhopping“). Die Betroffenen nutzen das Hilfesystem der Verbände dann weniger und werden so in der Statistik nicht erfasst.

Clearingstelle für junge wohnungslose Menschen nötig

Der Anteil junger Menschen bis 27 Jahren hat sich auf dem bereits hohen Niveau von gut 15 Prozent weiter verfestigt. Zu viele Jugendhilfeträger verabschieden sich aus der Unterstützung für die jungen Menschen mit dem 18. Lebensjahr, obwohl diese weiterhin Hilfe bräuchten. Die Verschiebungspraxis junger Menschen in der Zuständigkeit von SGB II, SGB VIII und SGB XII muss ein Ende haben. Dringend benötigt werden Clearingstellen, in denen sich die Kostenträger mit den Leistungserbringern regelhaft zusammensetzen und die Hilfe bedarfsorientiert ausgestalten.

„Wo zu wenig Wohnraum vorhanden ist, reicht es nicht für alle. Das spüren besonders Menschen mit niedrigem Einkommen. Wenn man einmal seine Wohnung verloren hat, wird es umso schwieriger, wieder eine bezahlbare Wohnung zu finden“, so Stefan Gillich, Vorsitzender des zuständigen Liga-Arbeitskreises „Armut, Migration und Soziale Integration“. „Der Mangel produziert seine Opfer in Form von Wohnungslosigkeit“.

Die Erhebung fand kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie statt. Es ist damit zu rechnen, dass durch Einnahme- und Jobverluste sowie weitere Überschuldungen, Mietzahlungsschwierigkeiten etc. die Anzahl wohnungsloser Menschen weiter zunehmen wird.

Forderung: Aktionsprogramm „Wohnungslosigkeit überwinden“ auf Landesebene

Die Liga Hessen hält auch weiterhin an ihren wesentlichen Forderungen aus 2018 fest: Notwendig ist eine konzertierte Aktion auf Landesebene. Die Landesregierung wird dringend aufgefordert, ein Aktionsprogramm „Wohnungslosigkeit überwinden“ zu initiieren mit einer Laufzeit von mindestens vier Jahren. Benötigt werden dafür acht Millionen Euro.

Merkmale eines solchen Programms sind:

  • Einführung einer landesweiten integrierten Wohnungsnotfallstatistik
  • Landesweite Untersuchung zu Umfang, Struktur und Hilfen für Menschen in Wohnungsnotlagen
  • Förderprogramm zum Aufbau kommunaler Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten im ländlichen Raum
  • Förderprogramm „Pro Wohnen“ zur Förderung von Netzwerken zur Prävention von Wohnungsverlusten und zur Erschließung von Wohnraum
  • Förderprogramm „Von der Straße in die Wohnung“ durch aufsuchende Hilfen auf der Straße, Akquise von Wohnungen, wohnbegleitende Hilfen

 

Ansprechpartner:

Stefan Gillich
Vorsitzender des Liga-Arbeitskreises „Armut, Migration und soziale Integration“
Telefon: 069-79476222
Handy: 0170-9194454
Mail: stefan.gillich@diakonie-hessen.de